Wut gepaart mit Verzweiflung. Diese Stimmung herrscht seit Wochen unter Millionen von indischen Bauern. Tausende von ihnen – vorwiegend aus den nördlichen Bundesstaaten Punjab, Haryana, Rajasthan und Uttar Pradesh – sind vor die Tore der indischen Hauptstadt Neu-Delhi gezogen und blockieren dort die großen Einfallstraßen. Bauernverbände haben zum „Marsch auf Delhi“ aufgerufen. Auslöser für diese riesige und andauernde Protestwelle sind die von der indischen Regierung beschlossenen Gesetze zur Deregulierung der Landwirtschaft. Die Landwirte fürchten um ihr Einkommen, ja ihre Existenz. Denn die Agrarreform begünstige lediglich die großen Agrarkonzerne. Das Schicksal der von der Landwirtschaft lebenden Menschen scheint eine unwichtige Nebensache zu sein.
„Wir werden von unseren ProjektpartnerInnen in Indien bestürmt, auf diese Proteste verstärkt auch hier in Europa aufmerksam zu machen“, sagt Reinhard Heiserer, Geschäftsführer der internationalen Hilfsorganisation Jugend Eine Welt, „Europa muss die indischen Bauern in ihrem Anliegen, diese Reform zu verhindern, unbedingt unterstützen.“ Indien ist für Jugend Eine Welt eines der wichtigsten Projektländer überhaupt. Zahlreiche von der Organisation unterstützte Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen für benachteiligte Kinder und Jugendliche kommen besonders den Familien der Landwirte zugute. Heiserer: „Die Notlage vieler Bauern im Land hat politische Ursachen und es macht uns sehr betroffen wie mit den Menschen umgegangen wird!“
Die langjährigen ProjektpartnerInnen von Jugend Eine Welt sind in großer Sorge und zeigen sich solidarisch mit den Anliegen der Bauern. Aus Angst vor Repressionen können sie sich jedoch nicht öffentlich stark machen. Laut unterschiedlichsten Berichten überwache die Regierung Menschen, die sich für die Landwirte einsetzen. Viele Anführer von Bauernverbänden seien sogar festgenommen worden und die Regierung versuche mit allen möglichen Mitteln zu verhindern, dass sich weitere Landwirte den bereits in Neu-Delhi befindlichen Kollegen anschließen. In Indiens Medien würde zudem nicht wahrheitsgemäß über die aktuellen Proteste berichtet werden.
Ernährungssicherheit Indiens gefährdet
Speziell Kleinbauern würden unter der für sie fatalen Kombination aus Verschuldung, steigenden Kosten, wirtschaftlicher Liberalisierung, subventionierten Importen und niedrigen Preisen besonders leiden. Dazu kommen noch die vom Klimawandel verursachten Probleme. Tausende Landwirte haben in den vergangenen Jahren deshalb sogar Selbstmord begangen. Die neuen Regelungen würden die Situation vieler Landwirte keinesfalls verbessern und könnten sogar die Ernährungssicherheit der gesamten Nation gefährden. Die Projektpartner verweisen daher auch auf die von Papst Franziskus jüngst geäußerten Worte: „Hunger ist kriminell, Essen ist ein unveräußerliches Recht.“
Der aktuelle Protest der Bauern richtet sich gegen drei bereits im September beschlossene Gesetze. Kurz gefasst sollen Landwirte nicht mehr wie bisher etwa Weizen und Reis nur an die staatlich kontrollierten Großmärkte (den sogenannten Mandis) zu garantierten Mindestpreisen abgeben, sondern ihre Ware auch direkt an Privatfirmen verkaufen können. Ein weiterer dramatischer Preisverfall wird so befürchtet, denn die Bauern hätten so gegenüber Agrarkonzernen eine schlechtere Verhandlungsposition. Bauerngewerkschafter meinen, die neuen Gesetze würden den Nahrungsmittelmultis Tür und Tor für grenzenlose Bereicherung öffnen.
Auslieferung an Großkonzerne?
Die indische Regierung behauptet hingegen, dass mit der Reform die veraltete Marktordnung wegfalle und die Bauern auf dem freien Markt sogar bessere Preise erzielen würden. So würde sich das Einkommen der Landwirte bis 2022 verdoppeln. Die neuen Gesetze sehen jedoch, so die Furcht der Bauern, keine oder nur sehr vage Bestimmungen zur Festlegung von Mindestpreisen vor. Allein große und private AkteurInnen würden so die Preise am indischen Markt bestimmen. Letztlich liefere man mit dieser Liberalisierung den gesamten Agrarbereich „gewinnorientierten Konzernen aus“ und vor allem die Kleinbauern blieben so auf der Strecke.
Die indische Regierung hat trotz der anhaltenden und in ihrer Dimension immer größer werdenden Proteste der Bauern bisher keine Signale gesetzt, dass sie die neuen Gesetze zurück nehmen könnte. Indiens Premierminister Narendra Modi hat zuletzt aber gesagt, dass er weiterhin Gespräche mit Vertretern der Bauernverbände führen möchte, auf der Suche nach Lösungen. Viele der demonstrierenden Landwirte meinen jedoch, dass der Kampf um die neuen Gesetze nun schon ein Stadium erreicht habe, in dem sie „entschlossen sind, ihn zu gewinnen, egal was passiert".
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