Aktuell ist Nothilfe-Koordinator Wolfgang Wedan in der vom Erdbeben schwer getroffenen syrischen Stadt Aleppo bei den Jugend Eine Welt-ProjektpartnerInnen – den Don Bosco Schwestern wie den Salesianern Don Boscos – um wichtige Nothilfe und weitere nachhaltige Hilfsprojekte zu organisieren. Im Interview berichtet er über die aktuell größten Herausforderungen der leidgeplagten syrischen Bevölkerung und wie die PartnerInnen von Jugend Eine Welt helfen.
Herr Wedan, wie geht es den Menschen nun rund zwei Monate nach der verheerenden Erdbebenkatastrophe?
„Die Menschen hier in Aleppo sind wirklich leidgeprüft. Abgesehen von der Corona-Pandemie, von der auch Syrien stark betroffen war, herrscht hier ja seit 12 Jahren Bürgerkrieg. Zerbombte Gebäude sind hauptsächlich im Ostteil Aleppos zu sehen, viele Wohnhäuser haben schwere Schäden erlitten. Und genau diese von den Kriegshandlungen beschädigten Gebäude stürzten beim schweren Erdbeben am 6. Februar 2023 ein und begruben viele Menschen unter sich. Die wirtschaftliche Situation in Syrien ist schlecht, die Menschen leiden unter der enorm hohen Inflationsrate von aktuell rund 140 Prozent. Die Straßenmärkte sind zwar stabil, doch die Preise für Grundnahrungsmittel sind explodiert. Man spricht hier von einer Verzehnfachung seit dem Erdbeben. Viele können sich die tägliche Mahlzeit nicht mehr leisten und sind auf Almosen und Ausspeisungen angewiesen – oder von der Verteilung der Lebensmittelpakete durch Hilfsorganisationen abhängig. Besonders Kinder und ältere Menschen leiden extrem unter dieser Situation. Die Ernährungsunsicherheit wird zudem vom Mangel an reinem Trinkwasser verschärft. Durch das Erdbeben vermischte sich das Trinkwasser, auf Grund geborstener Wasserleitungen, mit Abwässern – und zusätzlich wurde das Grundwasser durch die vielen nicht geborgenen Erdbebenopfer kontaminiert.“
Es gibt Meldungen von Cholera-Fällen – können Sie diese bestätigen?
„Ja, als Folge des kontaminierten Trinkwassers kam es zu einem Cholera-Ausbruch. Viele bestätigte und noch mehr unbestätigte Cholera-Fälle sind in Aleppo und der ländlichen Umgebung laut WHO zu verzeichnen, erste Cholera-Tote wurden in Aleppo gemeldet. Auch die medizinische Versorgung liegt im Argen. Wichtige Spezialmedikamente, wie Medikamente gegen Diabetes, Krebs, Herz-Kreislaufbeschwerden etc. sind entweder gar nicht mehr, oder nur noch am Schwarzmarkt zu horrenden Preisen zu bekommen. Die Regierung bemüht sich zwar das Gesundheitssystem wieder auf Vordermann zu bringen, jedoch mangelt es auch hier an finanziellen Ressourcen und man ist auf Internationale Hilfe angewiesen – wie zum Beispiel auf eine groß angelegte Impfkampagne gegen Cholera durch die WHO.“
Kann man sagen, dass für die Bevölkerung wieder eine Art Alltag eingekehrt ist?
„Die meisten Schulen in Aleppo sind immer noch geschlossen, da sie als Notunterkünfte für die betroffene Bevölkerung genutzt werden müssen. Eine Öffnung der Schulen war für den 1. März 2023 angedacht, wurde jedoch nicht durchgeführt. Die Kinder und Jugendlichen hier leiden sehr darunter, die Schule nicht besuchen zu können. Viele junge Erwachsene, mit denen ich gesprochen habe, wollen nur weg. Weg von all der Perspektivlosigkeit, hin zu einer Zukunft, die ihnen auch Möglichkeiten und Chancen bietet. Ein großer Teil der Bevölkerung in Aleppo wurde durch das Erdbeben traumatisiert, besonders die Kinder leiden unter den dramatischen Ereignissen der letzten Wochen. Die zur Aufarbeitung wichtige psychologische Betreuung wird von staatlicher Seite her kaum angeboten. Hier greifen die Betroffenen auf die Unterstützung von Hilfsorganisationen und privaten Initiativen zurück. So und nicht anders stellt sich die „neue Normalität“ hier in Aleppo dar. Den Menschen, die überleben und weiterleben wollen, bleibt nur, sich den Gegebenheiten anzupassen oder aus Aleppo wegzugehen.“
Gibt es bereits Anzeichen für einen Wiederaufbau der zerstörten Stadt?
„Noch ist man von staatlicher und privater Seite mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Trümmerteile werden von den Straßen entfernt, Verkehrsadern wieder befahrbar gemacht. Auch sieben Wochen nach dem Erdbeben suchen Betroffene in den Trümmern nach ihren Habseligkeiten, aber auch nach ihren noch immer verschütteten verstorbenen Angehörigen. Wiederaufbaumaßnahmen laufen zurzeit in Aleppo nicht. Die meisten der beschädigten und zerstörten Gebäude müssen geschleift werden. An einen Wiederaufbau ist daher aktuell nicht zu denken, zu stark sind die Beschädigungen. Die Bevölkerung, die ihre Unterkünfte verloren hat, ist zu Angehörigen in Aleppo gezogen, oder verlässt die Stadt – entweder Richtung Hama in ein großes Camp für Binnenflüchtlinge oder nach Damaskus. Man spricht zurzeit immer noch von rund 300.000 Obdachlosen in Aleppo und in der ländlichen Umgebung, die dringend eine feste Unterkunft benötigen. Wer es sich leisten kann, möchte aufgrund der herrschenden Perspektivenlosigkeit, Syrien überhaupt verlassen.“
Ist die Sicherheit der Menschen in Aleppo gewährleistet?
„Nein, denn nicht umsonst herrscht in Syrien die Sicherheitsstufe 6. Um hier sicher arbeiten zu können, muss man sich dessen bewusst sein. Quer durch das Erdbebengebiet zieht sich auch die Linie der unterschiedlichen politischen Interessen. Anschläge und Bombardierungen kann man nirgends ausschließen, auch in Aleppo oder Damaskus nicht. Die letzte große Attacke war die Bombardierung des Flughafens in Aleppo am 7. März 2023. Zur politischen Situation kommt noch die steigende Kriminalität in Aleppo. Neben der allgegenwärtigen Korruption steigen die Zahlen von Raubüberfällen, Diebstählen sowie Gewaltdelikten speziell gegen Frauen und Kinder seit dem Erdbeben stark an. Nach Einbruch der Dunkelheit gibt es aus Sicherheitsgründen auch kaum einen Verkehr auf den Straßen. Die Straßenbeleuchtung ist praktisch nicht mehr existent, da in ganz Aleppo die Elektrizitätsversorgung nur sporadisch funktioniert. Wer es sich leisten kann, besitzt einen Stromgenerator. Diesen zu betreiben ist jedoch sehr kostspielig, da der nötige Treibstoff dafür meist nur am Schwarzmarkt zu bekommen ist. Die Ausgabe von Treibstoff ist hier in Syrien rationiert. Des Weiteren finden in Aleppo vermehrt Plünderungen statt. Einerseits um das eigene Überleben zu sichern, andererseits um sich zu bereichern. Hier treiben organisierte Banden ihr Unwesen, die die Angst und die Traumata der Bevölkerung ausnutzen. Sie verbreiten in den Sozialen Medien Fake-News über angebliche weitere Erdbeben oder andere Unglücksfälle. Die Bevölkerung verlässt dann meist sehr schnell ihre Wohnungen. Diesen Umstand nutzen dann die Kriminellen um deren Wohnungen zu plündern.“
Wie hilft Jugend Eine Welt vor Ort in Aleppo?
„Wir von Jugend Eine Welt haben sofort nach dem Erdbeben damit begonnen, unsere ProjektpartnerInnen bei der Nothilfe für die betroffene Bevölkerung hier in Aleppo zu unterstützen. Im Mittelpunkt der Nothilfe stand die Bereitstellung von Matratzen, Decken und beheizten Notschlafstellen, da es nach dem Erdbeben bitterkalt war. Weiters wurde die notleidende Bevölkerung regelmäßig mit warmen Mahlzeiten versorgt. Aufgrund der Kälte und da viele Betroffene alles, auch ihre Kleidung, verloren hatten, wurden Winterkleidung und Schuhe, vor allem für Frauen und Kinder, angeboten. Bei Bedarf wurde in den Notunterkünften auch medizinische Notversorgung bereitgestellt. In der zweiten Phase nach der Katastrophe stellten wir gemeinsam mit unseren ProjektpartnerInnen wöchentliche Lebensmittelpakete zur Verteilung zusammen. Um speziell traumatisierten Kindern helfen zu können, wurde mit unseren Spenden ein Kindergarten in Aleppo für 130 Kinder wiedereröffnet. Der Betrieb ist zumindest für die nächsten zwölf Monate gesichert. Mal-, Sing- und Spieltherapien sowie sogenannte „child-friendly spaces“ werden angeboten, damit die Kinder wieder Kind sein können. Sobald die Kinder wieder lächeln können, geht es auch ihren Eltern besser! Zudem erarbeiten wir gerade mit unseren ProjektpartnerInnen ein Gutschein-System für die ärmsten Familien. Mit der Bereitstellung von monatlichen Essensgutscheinen und Gutscheinen zum Begleichen der Stromrechnung versuchen wir die Minimalbedürfnisse für ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten. Es ist noch so viel zu tun hier in Aleppo, um die notleidende Bevölkerung unterstützen zu können.“
Die Menschen sind auch aufgrund der vielen Nachbeben traumatisiert – hat sich die Erde mittlerweile beruhigt?
„In den ersten Wochen nach dem großen Erdbeben ereigneten sich mehr als 9.000 Nachbeben, einige davon mit der Magnitude 6.0 nach Richter und höher. Jetzt, rund sieben Wochen nach dem verheerenden Beben, hat sich die Erde beruhigt. Die Bevölkerung reagiert jedoch nach wie vor sehr sensibel auf jede kleinste Erschütterung – sei es durch vorbeifahrende Autos oder Lastkraftwägen. Meiner Erfahrung nach wird es noch lange dauern, bis die Bevölkerung wieder gänzlich zur Ruhe kommt und das Alltagsleben wieder einkehren kann.“
Wie können Menschen aus Österreich helfen? Kommen die Spenden auch alle an?
„Die Menschen in Syrien brauchen für ein menschenwürdiges Leben und zum Überleben jetzt weiter unsere Hilfe. Ich kann nur an die Menschen in Österreich appellieren: Helfen Sie uns! Unterstützen Sie uns mit Ihren Spenden, damit wir helfen können! Und ja, die Spenden kommen an. Deswegen schicken wir von Jugend Eine Welt auch unsere ExpertInnen in die Krisenregionen dieser Welt, um mit den richtigen Projekten sicherstellen zu können, dass die Spendengelder richtig und vor allem zielführend verwendet werden und dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden.“
Bitte helfen Sie JETZT!
Jugend Eine Welt-Spendenkonto: AT66 3600 0000 0002 4000
Kennwort: Nothilfe Erdbeben
Onlinespenden unter www.jugendeinewelt.at/spenden
Weitere Informationen zur Erdbeben-Nothilfe von Jugend Eine Welt für Türkei/Syrien finden Sie unter www.jugendeinewelt.at/erdbeben
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